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Esso Häuser: Gutachtenvorstellung und Diskussion

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Gestern am 14.08.2013 lud das Bezirksamt Mitte zur Info-Veranstaltung bzgl. des Gutachtens über und die Zukunft der Esso Häuser auf dem Kiez am Spielbudenplatz. Der NDR spricht von 300 Mietern und Anwohnern, die sich im Ballsaal des FCSP im Millerntor-Stadion eingefunden haben.

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Gleich zu Beginn möchte ich sagen, dass ich hier nicht auf das gesamte Thema und seine Zusammenhänge eingehen werde. Wer hierzu tiefer einsteigen möchte, fängt am besten bei der Initiative Esso Häuser an. Ich möchte vielmehr auf die getroffenen Aussagen eingehen und diese ein wenig hinterfragen.

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Als Anwohner und somit nicht direkt betroffener Mieter ist es mir glücklicherweise vergönnt die Angelegenheit etwas emotionsloser zu sehen. Meine Wohnung steht hier nicht auf dem Spiel und so hoffe ich, dass ich ein etwas objektiveres Bild darstellen kann.
Andy Grote leitete seine Veranstaltung unter Protest aus dem Publikum ein, was ich zuerst nicht ganz verstand, mir später jedoch klarer wurde. Das Gutachten betreffend des Zustandes der Esso Häuser war bereits länger veröffentlicht und bekannt, somit gebe ich den Kritikern recht, dass eine Diskussion nicht unbedingt der sinnvollste Zeitvertreib ist und ein “runder Tisch” für konkrete Lösungen sicherlich in der aktuellen Situation hilfreicher wäre.
Ich erspare Euch nun die Details des €100.000,- teuren Gutachtens, das von Frau Reumschüssel von DR Architekten etwas zäh ausgebreitet vorgetragen wurde. Mein persönliches Fazit aus dem Vortrag: Die Esso Häuser sind so verkommen und baufällig, dass das Bewohnen wohl knapp an der Grenze des Zumutbaren kratzt. Schön hervorgehoben wurde, dass die Wohnhäuser an sich wohl noch sehr stabil sind und die Statik gerade noch okay ist, bei der darunter liegenden Tiefgarage sieht es aber schon ganz anders aus. Wasser und Salze (Chloride aus u.a. dem Streusalz) haben den Stahl der Stahlbeton-Konstruktion schwer angegriffen. So etwas passiert nicht über Nacht, das schien allen klar zu sein. Auf die Frage, wie das Bezirksamt Mitte diesen Verfall zulassen konnte, entgegnete Herr Grote: “Es gibt nun mal keinen Häuser-TÜV, der regelmäßig alle Bauwerke überprüft.” Selbstverständlich muss ich ihm hier Recht geben, ABER ist es nicht so, dass sich über der Tiefgarage eine Tankstelle, sowie eine Waschanlage befindet? Meiner Kenntnis nach sind Tankstellen und Waschanlagen ein äußert “genehmigungs-intensives” Gewerbe. Im Gutachten wird ausdrücklich auf die zwei Stockwerke  unter der Waschanlage hingewiesen, eindrucksvolle Bilder belegen die Zerstörung am Bauwerk durch herabgesickertes Wasser, wahrscheinlich über Jahre. Nun Herr Grote, ich persönlich denke, dass Ihre Kollegen vom Umweltamt und ähnlichen Behörden in regelmäßigen Abständen bei der Waschanlage vorbeischauen und auch vorbeischauten, um z. B. die Fragen nach Einhaltung der Umweltschutzauflagen wie Ölabscheider etc. zu klären und während der gesamten Betriebsdauer sicherzustellen. Der Betreiber bezahlt für diese regelmäßigen Kontrollen sicher auch stets eine nicht zu geringe Gebühr. Was haben die städtischen Kontrolleure denn dort angesehen? Wie konnte es sein, dass dem Bezirksamt Mitte die Mängel bzgl. der im Gutachten gezeigten Leckagen verborgen blieben?

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Ob Abriss oder Sanierung, am 13.08.2013 wurde den Mietern vom Eigentümer, also der Bayerische Hausbau GmbH & Co. KG, mitgeteilt, dass sie zum 01.07.2014 ihre Wohnungen verlassen werden müssen. Punkt! Aus der Diskussion zwischen Herrn Grote und dem Publikum vermag man nun herauszuhören, dass dieses Datum dem Eigentümer und dem Bezirksamt Mitte bereits länger bekannt ist und ggf. gemeinsam abgestimmt wurde, vielleicht auch auf Basis des erstellten Gutachtens, das wohl zu Lasten des Steuerzahlers geht und nicht wie üblich zu den des Eigentümers.
Es ist angestrebt, die Mieter in die sanierten Wohnungen oder aber auch in den Neubau zurück zu holen oder viel mehr zu lassen. Aktuell bestehen wohl noch 33 langjährige Mietverhältnisse, ich nehme an, dass (wohl nur) ihnen eine Rückkehr garantiert wurde oder wird. Lassen wir das einfach mal so stehen. Fakt ist aber auch, das nach aktuellem Plan 2/3 der Wohnungen zu Eigentum werden sollen, hochpreisigem Eigentum wie ich spekuliere! Und ich spekuliere weiter, dass sich das verbleibende Drittel im Mietpreis pro Quadratmeter +/- ein paar Cent auf dem Niveau der Speicherstadt bewegen wird. Herr Andy Grote beteuerte jedoch, dass bezahlbarer Wohnraum erhalten bleibt. Ca. €14,-/m² nenne ich jedoch nicht bezahlbar, sodass ich meinen Ohren kaum traute als Herr Grote bezahlbaren Wohnraum wörtlich mit einer Kaltmiete von €5,80 bis €6,80 bezifferte! Leute, ganz ehrlich: Wo auf Sankt Pauli oder im gesamten Bezirk Mitte kann ich noch für €7,00/m² wohnen? Habe ich was verpasst? Und ich spreche hier nicht von §5-Schein-Wohnungen!! Ich bin Arbeiter und verdiene einen nüchternen Lohn, zuviel zum Sterben und zu wenig zum – ach lassen wir das! Tatsache ist, ich bekommen niemals einen Wohnberechtigungsschein! Das hat natürlich auch seine Richtigkeit, denn ich stehe in Lohn und Brot, flüchte aus keinem Kriegsgebiet oder habe als allein erziehender Vater keine Horde von Kindern zu versorgen. Wie sieht also die Zukunft der Esso Häuser aus? Vor meinem geistigen Auge zeichne ich seit gestern etwa dieses Bild: Nach dem Abriss wird ein 6-stöckiger Klotz in der Ladenzeile McDonald’s und Starbucks beherbergen, die 2/3 der Eigentumswohnungen für €500.000,- pro Stück und mehr teilt sich der Geldadel mit den Werber-Yuppies, das verbleibende Drittel bekommen VIELLEICHT die alten Mieter zu vergünstigten Konditionen; was auch immer vergünstigt oder bezahlbar in diesem Umfeld heißen mag; und die wohnungssuchende Arbeiterklasse bleibt draußen! Verdammt noch mal, Sankt Pauli ist ein Arbeiter- und Vergnügungsviertel, hier wohnen Schauerleute, Kellner und Obsthändler, weil sie hier auch arbeiten und meiner Meinung nach auch ein Recht auf Wohnraum in ihrem Viertel, das ihren Lebensmittelpunkt darstellt, haben!

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Abschließend bleibt mir nur zu sagen, dass ich hoffe mich zu irren. Man sollte dem Gegenüber nicht immer das Schlechteste unterstellen. Die Bauaufsicht hat sich gestern als schützende Hand über den Bürgern Hamburgs dargestellt und Fehler bei der Kontrolle bzgl. der Instandhaltung der Esso Häuser eingestanden. Nun muss das Bezirksamt und die Stadt auch zu den gemachten Fehlern stehen und das best-mögliche aus der misslichen Lage herausholen. Die Verantwortlichen der Stadt Hamburg oder ihrer Beauftragten für die baulichen Missstände unter der Waschanlage werden genannt und die Stadt bekennt sich zu ihrer nicht wahrgenommenen Verantwortung und den daraus resultierenden Problemen. Es wird im Sinne der Mieter und der gesamten Bürger eine Lösung für das herrschende Wohnungsproblem gefunden bzw. Neubauprojekte mit entsprechenden Auflagen versehen. Wir sind ihre Bewohner, liebe Freie und Hansestadt Hamburg, wir sichern mit unserer Wirtschaftsleistung Ihr Fortbestehen, denken Sie zuerst an uns und nicht an sogenannte Investoren, die ihre Steuern sowieso in anderen Bundesländern abführen.

Demnächst finde ich sicherlich ein Schreiben von Herrn Grote oder seinen Kollegen in meinem Briefkasten, in dem mir erklärt wird, wo ich auf Sankt Pauli und in ganz Mitte bezahlbaren Wohnraum lt. der gestrigen Definition finde, Exposés sind nicht nötig, mir reichen die Kontaktdaten der Vermieter…

 


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